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“Bulgaristan’da Bağımsızlıktan Günümüze Yer İsimlerinin Değişimi”

Historische Feindbilder in Griechenland und in der Türkei als Hindernis für eine griechisch-türkische Verständigung

Türkiye-Avrupa İlişkilerinde Tarihsel Mirasın Önemi

 

Assist. Prof. Dr. Mehmet Hacısalihoğlu
Yıldız Teknik Üniversitesi, Istanbul /
Ludwig-Maximilians-Universität, München

Historische Feindbilder in Griechenland und in der Türkei als Hindernis für eine griechisch-türkische Verständigung
 
Geschichte an sich ist ein sehr wichtiger Faktor für gute oder schlechte Beziehungen zwischen Nachbarländern, insbesondere zwischen der Türkei und Griechenland. Ein viel wichtigerer Faktor ist jedoch nicht die Geschichte selbst, sondern die Geschichtsschreibung, die je nach dem Land sehr unterschiedlich sein kann. Ein gutes Beispiel dafür sind die griechischen und türkischen Geschichtsschreibungen.
Möchte man eine griechisch-türkische Verständigung erzielen, so kann man dies nicht ohne Berücksichtigung der Feindbilder in den Historiographien der beiden Länder verwirklichen. Unter diesem Aspekt möchte ich versuchen, die Geschichtsschreibung – nicht die Geschichte – in der Türkei und Griechenland zu diskutieren und zu zeigen, ob und inwieweit die Geschichtsschreibung in diesen Ländern ein begünstigendes bzw. ein verhinderndes Element für eine Verständigung zwischen diesen Völkern in der südöstlichsten Ecke Europas darstellt.
Die Masse lernt die Geschichte im Geschichtsunterricht in den Schulen. Es gibt natürlich auch weitere Mittel, wie allgemeine Enzyklopädien, Medien, literarische Werke wie Romane, Gedichte etc, durch die man auch ein positives bzw. negatives Bild von Geschichte bekommt. Ich habe mich speziell mit den Schulbüchern in verschiedenen Balkanländern, vor allem mit bulgarischen, griechischen und türkischen Schulgeschichtsbüchern beschäftigt. Dabei musste ich immer wieder feststellen, dass die Darstellungen in den Schulbüchern mit dem Geschichtsbild in der Öffentlichkeit im wesentlichen übereinstimmen. Selten trifft man Personen, die eine andere Ansicht vertreten. Meine Magisterarbeit behandelte das Griechenlandbild in der Türkei, wobei meine Hauptquelle die Türkische Enzyklopädie war. Ich verglich die Darstellungsweise bestimmter historischer Ereignisse in beiden Ländern. Ferner halte ich am Department für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen der Y¤ld¤z Teknik Üniversitesi in Istanbul jedes Jahr ein Seminar über das Geschichtsbild und die Identitätsfragen auf dem Balkan und in der Türkei. Im Rahmen dieses Seminars vergleichen wir hauptsächlich die Geschichtsbilder in den Schulbüchern. Der zeitliche Schwerpunkt ist die osmanische Zeit. Einige arabischsprachige Studenten im Seminar bearbeiteten arabische Schulbücher und einer hat z.B. eine Seminararbeit über das Türkenbild in den syrischen Schulgeschichtsbüchern geschrieben. Es ist bekannt, dass das Verhältnis zwischen der Türkei und Syrien spannungsgeladen ist, was sich auch in den Schulbüchern widerspiegelt. Die Türken werden als Zerstörer der arabischen Zivilisation verteufelt.
Nach meinen bisherigeren Erkenntnissen haben diese Feinbilder einen sehr großen Einfluss auf die heutigen politischen Beziehungen, wahrscheinlich viel mehr als man dies in der Politikwissenschaft sieht. Diese Feststellung betrifft vor allem die Balkanländer. Dort dient die Geschichtsschreibung mit ihren Abgrenzungen und Feindbildern als ein negatives Element für die Beziehungen. Im folgenden werde ich versuchen zu zeigen, wie das griechisch-türkische Verhältnis durch die Feindbilder in der Geschichtsschreibung belastet wird. Man kann sogar sagen, dass das griechisch-türkische Verhältnis im Schatten der historischen Feindbilder steht.

Türkenbild in Griechenland

Gehen wir zurück zu den wichtigsten Berührungspunkten in der Geschichte: Eroberung Istanbuls oder Fall Konstantinopels. Für die Türken ist das ein wichtiges Datum, in dem der osmanische Staat zu einem Weltreich wird. In den griechischen Schulbüchern ist es der Beginn allergrößten Übels. Es ist der Untergang der griechischen Welt und der Beginn einer „Schwarzen Periode“, die man Turkokratia bezeichnet. „i Poli“ (die Stadt), Konstantinoupolis, die als das Zentrum der griechischen Geschichte angesehen wird, war während der Magali-Idea-Politik Neugriechenlands nach seiner Gründung im Jahre 1830 ein wichtiges Eroberungsziel (Vgl. HACISALİHOĞLU, Istanbul). Wie geht man damit heute um? Wir lesen in den Schulbüchern Lesestücke, die jedem griechischen Schulkind bekannt sind. Hier sind einige, die besonders auffällig sind:
In einer Legende (Marmorkönig) im Schulbuch für die 5. Klasse der Grundschule geht es um das Schicksal des letzten byzantinischen Kaisers Konstantin XI.:
Als die Zeit der Einnahme der Polis kam und die Türken eindrangen, bestieg unser König (Basileus) sein Pferd und eilte davon, um die Türken abzuwehren. Es gab zahlreiche Türken und Tausende griffen den König an. Der König kämpfte heldenhaft und tötete viele von ihnen. Da wurde jedoch das Pferd des Königs getötet und er fiel zu Boden. Ein arabischer Soldat hob sein Schwert, um den König zu töten. In dem Moment kam ein Engel Gottes, holte den König und brachte ihn in eine tiefe Höhle in der Nähe des Goldenen Tors. Der versteinerte König wartet dort darauf, dass derselbe Engel kommt und ihn aufweckt.“
Die Erzählung geht folgendermaßen weiter:
„Die Türken wissen es sehr gut, aber sie können die Höhle, in der sich der König befindet, nicht finden. Sie kennen aber das Tor, durch das der König herauskommen und die Polis von ihnen zurückerobern wird. Deswegen schlossen sie dieses Tor. In einer von Gott bestimmten Zeit jedoch wird der Engel hinabsteigen, den König entsteinern und ihm das Schwert in die Hand geben, mit dem er im Krieg gekämpft hatte. Der König wird aufstehen und durch das Goldene Tor in die Polis eintreten. Er wird mit seinen Armeen die Türken verjagen und sie bis zum Goldenen Apfel vertreiben. Und es wird so ein großes Gemetzel geben, dass das Rind im Blut schwimmen wird." (ISTORIA 5/1990, S. 201; ISTORIA 5/2000, S. 143).
In einer anderen Legende im Schulbuch für die 6. Klasse geht es um die „halbgebratenen Fische“: „Als die Türken die Polis einnahmen, war ein Mönch beim Braten von sieben Fischen. Er hatte sie auf der einen Seite gebraten, und als er sie umdrehen wollte, kam jemand und sagte ihm, dass die Türken die Polis erobert hätten. Darauf antwortet der Mönch, er würde es ihm nur glauben, wenn die Fische lebendig würden. Bevor er seine Worte zu Ende gebracht hat, sprangen die Fische lebendig aus der Pfanne ins Wasser hinein. Und diese lebendigen Fische sind bis heute da, in Balukli, und sehen halbgebraten aus, bis die Zeit kommen wird, dass wir die Polis einnehmen. Dann, so sagt man, wird ein anderer Mönch kommen und das Braten zu Ende bringen.“ (ISTORIA 6/1990, S. 65; ISTORIA 6/2000, S. 54; KOULLAPIS, Darstellung, S. 38-39).
In den Schulbüchern befinden sich auch Volkslieder, die dieselben Gedanken vermitteln. Ein Volkslied über den Fall Konstantinopels in der 5. Klasse endet mit folgenden Zeilen:
Die Jungfrau weinte und die heiligen Ikonen weinten mit ihr‚
‚Weine nicht so viel, Du heilige Jungfrau, und sei nicht sehr traurig!
Eines Tages wird Konstantinupolis wieder zu uns gehören!“ (ISTORIA 5/1990, S. 201; ISTORIA 5/2000, S. 143)
Die griechischen Kinder, die in der Schule solche irredentistische Schilderungen lernen, sind zwischen 11 bis 12 Jahre alt, und man kann sich vorstellen, welchen Einfluss diese Verheissungslegenden auf die Kinder haben können.
Was die osmanische Herrschaft auf dem Balkan anbelangt, so wird sie fast in allen Balkanländern als „Türkenjoch“ bezeichnet. Fast alle Balkannationen distanzieren sich von dieser „schwarzen Periode“ ihrer Vergangenheit und verteufeln sie. Fast jedes Balkanvolk behauptet, einen mächtigen Staat mit einer hochentwickelten Kultur und Zivilisation im Mittelalter gehabt zu haben. Dann kamen die „barbarischen“ Türken, unterwarfen diese Nationen und versklavten sie. Sie akzeptierten diese „türkische Herrschaft“ natürlich nicht. Sie kämpften gegen diese tyrannische Herrschaft von Anfang bis zu ihrer Unabhängigkeit fast ununterbrochen an. Die Türken versuchten ihr Volkstum zu vernichten und zwangen sie Muslime zu werden. Gewaltsam entrissen sie diesen Völkern ihre Kinder, erzogen sie als Muslime und bekämpften sie mit deren Hilfe. Die Türken unterdrückten auch die christliche Religion, zerstörten die Kirchen und die Klöster. Diese schwarze Zeit dauerte, bis die heroische Nation endlich einen großen Unabhängigkeitskampf begann, der zum Erfolg führte.
Im nationalen Selbstverständnis der Balkanvölker nehmen die positiven und die negativen Identifikation mit ihrer Vergangenheit einen großen Platz ein. Nehmen wir hier als Beispiel die Griechen. Bei der Beschreibung der griechischen Identität wird vor allem die Identifikation mit der altgriechischen Zeit betont. Demzufolge fühlt sich ein Grieche als Grieche, weil er Nachfolger der Altgriechen ist. Eine sehr wichtige zweite Periode in der griechischen Geschichte für die positive Identifikation bildet die Zeit des griechischen Unabhängigkeitskampfes. Eine weitere Komponente der griechischen Identität bildet auch die Verbundenheit mit der Orthodoxie und der byzantinischen Zeit (TZERMIAS, Grundsätzliches; DERS., Identitätssuche; TSOUKALAS, Identity; KITROMILIDES, Enlightenment). Neben diesen positiven Identifikationen gibt es aber auch eine Abgrenzung als einen Teil des Selbstverständnisses. Diese Abgrenzung betrifft vor allem die „Barbaren“, gegen welche die griechische Nation von der Antike bis zur Gegenwart kämpfen musste und muss. Von diesen Barbaren bilden die Türken – so heißt es in einem griechischen Schulbuch - die größten Barbaren (BÜSE, Darstellung, S. 14). Bei diesem Verhältnis mit den „türkischen Barbaren“ bildet die osmanische Zeit die wichtigste Periode. Der Grieche fühlt sich also als Grieche, weil er sich als Vorkämpfer gegen die barbarischen Türken von der osmanischen Periode abgrenzt (Für eine kurze Erläuterung über diese Abgrenzung s. (AUERNHEIMER, Zum Bild der Türkei: KRAFT, Der „makedonische Faktor“, S. 390-391; KOULLAPIS, Darstellung).
Die griechische Unabhängigkeit wird in den Schulbüchern sehr ausführlich beschrieben. Fast ein ganzes Jahr ist diesem wichtigen Ereignis gewidmet. Dort erreicht der Kampf gegen die Türken seinen Höhepunkt. In den Nationalfeiertagen werden Filme gezeigt, die diese bildlich beschreiben. So erinnere ich mich an einen Film über Ali Pasas o Janinas (Ali Pascha von Janina).
Eine weitere wichtige Phase der griechischen Geschichte bildet die sog. „Kleinasiatische Katastrophe“ (Mikrasiatiki Katastrophi). Nach dem Ersten Weltkrieg marschierte die griechische Armee in Kleinasien ein. Dann aber verlor Griechenland den Krieg und mehr als eine Millionen Griechen wurden nach einem Bevölkerungsaustauschvertrag mit den Muslimen aus Griechenland gewechselt. Dieses Ereignis wird in den Schulbüchern auch sehr ausführlich, mit vielen Bildern und Erzählungen dargestellt. Damit wird sehr stark das Bild einer „verlorenen Heimat“ hervorgehoben. Das Ereignis wird als Vertreibung und teilweise auch als Völkermord beschrieben. Jährlich wird z.B. in Griechenland am „Genozid“ vom mehreren Tausend Pontus-Griechen erinnert. Es gibt einen bekannten Film über die Vertreibung einer Gruppe von Griechen aus Smyrna und über ihre Ermordung unterwegs. Hier werden alle Vorurteile über die „türkischen Barbaren“ bildlich dargestellt.
Auch die Darstellung der Beziehungen im 20. Jahrhundert ist durch einen ständigen Kampf der Griechen gegen die Türken charakterisiert. So möchte ich an die „Türkische Invasion auf Zypern“ 1974 erinnern. Dasselbe Ereignis wird in den türkischen Schulbüchern als „die Friedensoperation auf Zypern“ bezeichnet.

Griechenbild in der Türkei

Damit komme ich auf die steretype Darstellung historischer Beziehungen auf der türkischen Seite, wofür ich vierschiedene Artikel aus dem allgemeinen Lexikon Türk Ansiklopedisi als Quellen heranziehe. Die konfliktreichen Beziehungen gehen bis zur byzantinischen Zeit zurück. Die byzantinische Politik gegenüber den Türken wird als hinterhältig charakterisiert. Die Eroberung Konstantinopels wird dabei nicht unbedingt als eine griechisch-türkische Angelegenheit betrachtet, weil die Byzantiner in den türkischen Schulbüchern nicht unbedingt mit den Griechen gleichgesetzt werden.
Das negative Griechenlandbild beginnt hauptsächlich bei der Schilderung des „Griechischen Aufstandes“.  Demzufolge lebten die Griechen im Osmanischen Reich sehr gut. Es gab im Osmanischen Reich keine Großgrundbesitzer-, und Aristokratenklasse und es existierte keine soziale Gruppe, die keinerlei Rechte und Freiheiten besaß. Außerdem wurden alle Gebiete des Osmanischen Reiches, auch die, die nicht von Türken bewohnt waren, als Teil des "Vaterlandes" und nicht - wie von den europäischen Staaten - als Kolonien betrachtet. Im Vergleich zu anderen nichtmuslimischen Völkern hatten die Griechen eine "privilegierte Stellung". Das Patriarchat hatte kurz vor der Eroberung Konstantinopels seine Bedeutung verloren, Mehmed der Eroberer ließ es jedoch neuorganisieren und der Patriarch wurde mit vielen Rechten und Privilegien ausgestattet. Er blieb während der osmanischen Herrschaft das geistige Oberhaupt aller Orthodoxen. Das Patriarchat und die Kirche werden als nur für Nichtmuslime zuständige Verwaltungsinstitution beschrieben, die für die religiösen und privatrechtlichen Angelegenheiten der Christen zuständig war. 
Auch im wirtschaftlichen Bereich wurden die Griechen bevorzugter behandelt, heißt es. Der osmanische Staat gewährte ihnen Begünstigungen im Handel und in der Schiffahrt. Besonders im 19. Jahrhundert waren der osmanische Handel und die Agrarwirtschaft unter der Kontrolle der Griechen sowie anderer nichtmuslimischer Völker. Außerdem ist auch vom Reichtum der Fanarioten die Rede.
Als ein weiteres Privileg wird berichtet, dass es im Reich viele Staatsmänner griechischer Herkunft gegeben hat. Zehn wurden gar Großwesire, wie Rum Mehmed Pascha, Ishak Pascha usw. Auch die Verwalter der Walachei und der Moldau wurden aus den Reihen der adligen Fanarioten (Istanbuler Griechen im Stadtteil Fener/Phanar) gewählt.
Sogar bei der Knabenlese, die in der griechischen Historiographie und besonders in den Schulbüchern als eines der zentralen Beispiele für die "Heimsuchungen", unter denen die Griechen in dieser "unglücklichen Zeit" zu leiden hatten, und als "Blutsteuer" dargestellt und als die "schlimmste Islamisierungsform" bzw. "Assimilierungsversuch" angesehen wird, spricht die türkische Enzyklopädie von einer besseren und bevorzugten Behandlung der Griechen. Demzufolge waren die Griechen sowohl auf dem Balkan als auch in Anatolien die vorrangige Bevölkerungsgruppe für die Knabenlese. Die Knabenlese wird damit positiv als eine Einstiegmöglichkeit zu hohen Verwaltungsämtern für die Jungen dargestellt. In Griechenland glaubt man im allgemeinen, dass die Türken die Kinder der Griechen in jungem Alter mit Zwang wegnahmen, islamisierten und sie dann bei der Bekämpfung der Griechen benutzten. Der Türkischen Enzyklopädie zufolge war jedoch die Knabenaushebung eine soziale Notwendigkeit. Der Herrscher des Osmanischen Reiches benötigte für die Sicherung seiner Dynastie gegen eventuelle Konkurrenten eine eigene Armee. Die Islamisierung der nichtmuslimischen Völker war nicht die primäre Funktion der Knabenlese. Demzufolge wurden im allgemeinen Kinder von vornehmen christlichen Familien im Alter von 14 bis 18 Jahren ausgesucht. Außerdem wird in der Türkischen Enzyklopädie berichtet, dass diejenigen, die schon einmal als Diener gearbeitet hatten sowie Türken, Zigeuner, Kurden, Perser, Russen, Juden und Georgier nicht genommen wurden.
Obwohl die Griechen so glücklich und bevorzugt unter der osmanischen Herrschaft lebten, waren sie undankbar und wurden im 19. Jahrhundert zum Werkzeug der osmanischen Feinde, wie z.B. Russlands. Außerdem hatte  die griechische Kirche die Wiedergründungsidee des Byzantinischen Reiches (fälschlicher Weise "megalo idea" genannt - die richtige Form wäre megali idea) bewahrt. Durch die Intervention der Großmächte wurde ein unabhängiges Griechenland gegründet (1830). Die Politik des neuen Griechenlands gegenüber der Türkei wird auch als eine ständige Angriffspolitik bezeichnet. Nach einem Artikel in der Türkischen Enzyklopädie stand im Mittelpunkt der Politik des neugegründeten Griechenlands die Idee "Megalo Idea" (die Wiedergründungsidee Byzanz') und
"seit jener Zeit verfolgte Griechenland mit ständiger Unterstützung Englands, Frankreichs und Rußlands eine aggressive Politik gegenüber der Türkei. Es sah jede Krise der osmanischen Regierungen als eine Gelegenheit. (...) Die letzte Manifestation dieser Politik ist der Türkische Befreiungskrieg" (HACISALİHOĞLU, Griechenlandbild).
Der „Türkische Befreiungskrieg“ 1919-22 wurde gegen die angreifenden Griechen geführt und als Folge dieses Ereignisses wurde die Türkische Republik ausgerufen. Somit sind die Nationalfeiertage in der Türkei zugleich Gedenktage an den „Kampf gegen Griechen“. So wie in Griechenland werden auch in der Türkei an diesen Tagen Filme gezeigt, in denen ein negatives Griechenbild vermittelt wird: Griechische Soldaten vergewaltigen Frauen, setzen Städte in Brand, töten unschuldige Menschen etc.
Der griechische Einmarsch auf Kleinasien wird als griechische Invasion dargestellt. Die Gründe dafür waren nach der Türkischen Enzyklopädie, dass die Siegermächte versuchten, "die Lebensrechte der Türken in ihrem eigenen Land zu begrenzen." Damit wollten sie ihre kolonialen Interessen verwirklichen.
"Um den Widerstand der Türken, der aus ihrer natürlichen Veranlagung entstehen würde, zu brechen, versuchten sie die Armenier im Osten und die Griechen im Westen als Gendarmeriekräfte zu benutzen." (HACISALİHOĞLU, Griechenlandbild).
Die Griechen, die ihre "Megalo Idea" verwirklichen wollten, werden schließlich als Werkzeug der europäischen Großmächte gegen die Türken charakterisiert, was auch das allgemeine Neugriechenlandbild in der türkischen Geschichtsschreibung ausmacht.
Das griechische Patriarchat erscheint als eine türkenfeindliche Institution in der türkischen Geschichtsschreibung. In einem Artikel in der Türkischen Enzyklopädie heisst es:
"(...) die Minderheiten in der Türkei, Griechen, Armenier (...) usw. setzten sich in Bewegung gegen den osmanischen Staat, der seit Jahrhunderten ihre Rechte in der Türkei für die Aufrechterhaltung ihrer Religion und Sprache, private Erziehung, Handel und Gewinn gewährleistete, und gegen die Türken, die [den osmanischen Staat] am Leben hielten. Sie arbeiteten mit den Siegermächten ganz offen zusammen, trafen Maßnahmen mit großem Eifer, um die türkische Nation zu vernichten, und gründeten Vereine. Das griechische und das armenische Patriarchat, die Klöster und die Kirchen wurden zum Zentrum der gegen die Türken in Bewegung gesetzten Vernichtungspolitik." (HACISALİHOĞLU, Griechenlandbild).
In einem Artikel über das Patriarchat heißt es:
"(...) das Schicksal der orthodoxen Bürger in der Türkei war nach dem fast hundert Jahre dauernden Verrrat nunmehr besiegelt. (...) der Austausch der Türken in Makedonien und der Griechen in Anatolien ist eine Folge dieser Verratspolitik des Patriarchats gewesen." (HACISALİHOĞLU, Griechenlandbild). Für den Bevölkerungsaustausch wird also die griechische Seite verantwortlich gemacht.
Fasst man zusammen, so beginnt das wesentlich negativere Griechenlandbild in der türkischen Geschichtsschreibung erst mit der Darstellung der griechisch-türkischen Beziehungen nach der Gründung des neuen Griechenlands, das sich an die europäischen Mächte anlehnend eine türkeifeindliche Politik betreibt und mindestens bis zum Türkischen Befreiungskrieg bei jeder Gelegenheit versucht hat, auf Kosten der Türkei zu expandieren; und das andererseits sich als Werkzeug der europäischen Mächte gegen die Türken erweist. Dieses Bild Griechenlands findet sich auch heute noch in der türkischen Öffentlichkeit: es heißt nämlich "das freche Kind Europas".   

Schlussbemerkungen und Ausblick

Hier wurde gezeigt, dass die Geschichtsschreibung in Griechenland und in der Türkei, insbesondere die in den Schulbüchern, Enzyklopädien u.ä. ein wichtiges Hindernis für eine griechisch-türkische Verständigung darstellt. Man fragt sich, ob feindliche Darstellungen in den Schulbüchern nicht beseitigt werden könnten. So haben Deutschland und Frankreich eine solche Aktion in den 1970er Jahren durchgeführt und können heute die Früchte dieses Prozesses ernten. Ausserdem sei hier auf das Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig hingewiesen, das in diesem Feld erfolgreiche Arbeiten geleistet hat (Vgl. http://www.gei.de/deutsch/institut/geschichte.shtml). Zwischen den Griechen und Türken ist es allerdings nicht so leicht. Wenn Sie mit einem solchen Vorschlag einen Griechen oder Türken ansprechen, dann antworten sie: Die Geschichte war aber doch so! Wir können die Geschichte nicht ändern! Sollen wir die Geschichte verfälschen!
Nun möchte ich einen Prozeß in Bulgarien schildern, in dem versucht wurde, die Darstellung der osmanischen Periode in Bulgarien zu ändern. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems begann in den postsozialistischen Ländern eine Diskussion über die Darstellung der Vergangenheit. Das Darstellungsmuster der Geschichte während der sozialistischen Zeit wurde nunmehr in Frage gestellt. In Bulgarien wurde begonnen, die vorsozialistische Periode, die in der sozialistischen Geschichtsschreibung verteufelt wurde, z.T. neutraler und objektiver darzustellen. Die russenfreundliche Darstellung der Geschichte änderte sich ebenfalls. Während dieser Wandlung in der Geschichtsdarstellung begann auch eine veränderte Darstellung der osmanischen Periode. Weil man nicht mehr die Schulbücher der sozialistischen Zeit benutzen wollte, wurde im Jahre 1992 ein Schulbuch geschrieben, das bis zur Verfassung neuer Schulbücher vorläufig benutzt werden sollte (ANGELOV u.a., Zapiski). Darin schrieb Cvetana Georgieva, die Professorin für Osmanistik an der Universität Sofia, den Teil über die osmanische Periode. In ihrer Darstellung wurde erstens zwischen den Türken und Osmanen differenziert. Sie schrieb z.B. „osmanische Eroberung“. Obwohl der Inhalt nicht viel anders war als frühere Darstellungen, wurden bestimmte Bezeichnungen wie „Türkenjoch“ vermieden, an ihrer Stelle wurde die Bezeichnung „osmanische Herrschaft“ benutzt. Obwohl die bulgarische Gesellschaft eine Revision in der sozialistischen Darstellung der bulgarischen Geschichte mit großer Bereitschaft akzeptierte, stieß dieser Versuch von bulgarischen Historikern dennoch auf großen Widerstand. Der grösste Widerstand kam von Geschichtslehrern und von den Eltern der Schüler. Schließlich scheiterte dieser Versuch und man begann wieder, die osmanische Vergangenheit wie in der sozialistischen Zeit darzustellen.
An diesem Beispiel sieht man, dass den Völkern an der südöstlichen Ecke Europas ihr traditionelles nationalistisches Geschichtsbild viel wichtiger ist als Konfliktlösung, Verständigung, Frieden oder gar Freundschaft. Deswegen darf man keine zu großen Erwartungen in die nähere Zukunft setzen, dass endlich die alten Feindbilder überwunden werden können. Dennoch ist es dringend notwendig, den kulturellen und akademischen Austausch zwischen Griechen und Türken auf jeder Ebene zu fördern. Dafür wären z.B. Erasmus-Verbindungen zwischen türkischen und griechischen Universitäten sehr nützlich. Beziehungen auf oberster politischer Ebene sind sehr wichtig, doch nicht ausreichend. Auch Historiker und Politikwissenschaftler aus beiden Ländern müssen eine gemeinsame Sprache finden und kommunizieren.

Zitierte Quellen und Literatur

ANGELOV u.a., Zapiski: Angelov, Petâr, Georgieva, Cvetana, Bakalov, Georgi und Canev, Dimitâr: Zapiski po istoriya na Bâlgariya 681-1878 [Notizen über die Geschichte von Bulgarien 681-1878]. Sofia 1992.
AUERNHEIMER, Zum Bild der Türkei: Auernheimer, Gustav: Zum Bild der Türkei in Griechenland und seinen historischen Voraussetzungen. In: Südosteuropa, Jhg. 48, Heft 5/6 (1999), S. 336-358;
BÜSE, Darstellung: Büse, Kunigunde: Die Darstellung des griechisch-türkischen Konfliktes in griechischen Schulbüchern. In: Münchener Zeitschrift für Balkankunde, 3. 1980 (1981), S. 1-23.
HACISALİHOĞLU, Griechenlandbild: Hacısalihoğlu, Mehmet: Das Griechenlandbild in der Türk Ansiklopedisi. Unveröffentlichte Magisterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1995.
HACISALİHOĞLU, Istanbul: Hacısalihoğlu, Mehmet: Istanbul in Geschichte und Vorstellungswelt der orthodoxen Völker in Ost- und Südosteuropa, in: Köse, Yavuz (Hrsg.): Istanbul: vom imperialen Herrschersitz zur Megapolis. Historiographische Betrachtungen zu Gesellschaft, Institutionen und Räumen (im Druck)
ISTORIA 5/2000: Sta Byzantina Chronia. Istoria E’ Takses [Griechisches Schulbuch für die Grundschule 5. Klasse]. Hrsg. Basiles Asemomytes u.a., 14. Auflage, Athen 2000.
ISTORIA 5/1990: Sta Byzantina Chronia. Istoria E’ Takses [Griechisches Schulbuch für die Grundschule 5. Klasse]. Hrsg. Basiles Asemomytes u.a., 4. Auflage, Athen 2000.
ISTORIA 6/2000: Sto Neotera Chronia. Istoria ST’ Demotiku [Griechisches Schulbuch für die Grundschule 6. Klasse]. Hrsg. Dionysios Aktypes u.a.,4. Auflage, Athen 2000.
ISTORIA 6/1990: Sto Neotera Chronia. Istoria ST’ Demotiku [Griechisches Schulbuch für die Grundschule 6. Klasse]. Hrsg. Dionysios Aktypes u.a., 2. Auflage, Athen 1990.
KITROMILIDES, Enlightenment: Kitromilides, Paschalis M.: Enlightenment, Nationalism, Orthodoxy. Studies in the culture and political thought of south-eastern Europe. Aldeshot, Brookfield, Ve. 1994.
KOULLAPIS, Darstellung: Koullapis, Lory-Gregory: Die Darstellung der Osmanischen Geschichte in den Schulbüchern Griechenlands und der Türkei. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier gegenseitiger Nationalismen. (Unveröffentlichte Magisterarbeit an der LMU-München, 1993).
KRAFT, Der „makedonische Faktor“: Kraft, Ekkehard: Der „makedonische Faktor“ in der griechischen Außen- und Innenpolitik: Ursachen und Auswirkungen. In: Südosteuropa, Jahrg. 44, Heft 6/7 (1995), S. 385-412.
TSOUKALAS, Identity: Tsoukalas, Constantine: European modernity and Greek national identity. In: Journal of Southern Europe and the Balkans, Volume 1, Nr. 1 (May 1999), S. 7-14.
TZERMIAS, Identitätssuche: Tzermias, Pavlos: Die Identitätssuche des neuen Griechentums, Eine Studie zur Nationalfrage mit besonderer Berücksichtigung des Makedonienproblems. Freiburg / Schweiz 1994.
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Weitere Literatur zum Thema

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STEREOTYPES AND HISTORICAL IMAGES OF THE OTHER IN GREECE AND TURKEY

In this article I try to stress the important role of history in the context of bilateral relationships between two countries. In this respect historiography and historical images are decisive for the relevant success or failure of attempts to construct better relationships between the parties. Unfortunately in our case, namely the national historiographies of Greece and Turkey, which are partially constructed upon negative historical images of the other,  build obstacles for a better understanding between the people of these two countries. The examples from Greek and Turkish history text books, encyclopaedias and other items  of national history education, including audio visual material, will serve here to illuminate the stereotypical images of historical understanding on both sides of the Aegean Sea.
Although history of these two countries do intersect in their development, respective national history writings differ from each other and utilize different turning points. On the Greek side, 1453 Fall of Constantinople is the major interruption for the Greek history, which marks the end of the glorious Byzantine Era and the beginning of the black period, Turkokratia. This period sustains until the Greek Revolution. The Anatolian Catastrophe can be seen as the last one of the three major turning points of Greek historical understanding. Especially the first and the last events have been utilized to stress the irredentist perception of a Lost Homeland.
On the Turkish side the emergence of the negative image of Greeks can be set with the Greek Rebellion. In Turkish understanding the Ottoman reign was just and favourable to every group of the society. Furthermore, according to this view the Greeks had a privileged position regarding their religious rights and fiscal opportunities. On this base of argument the emergence of Greek national state has been conceptualised as a betrayal against the Turks. On the other hand, the new Greek state followed the policy of Megali Idea, and simultaneously served as an instrument to the aims of the enemies of the Turks, i.e. Great Powers of Europe. The final event, which was fitted into this picture is the Greek Invasion of Anatolia.
In summary both parties have negative images of each other and these images are static and difficult to revise or change, a characteristic which is also common in the Balkans. Without a careful revision of these historical images a real rapprochement between Greece and Turkey will be difficult to reach. Nevertheless, the emotional ties of the people of these two countries to their own history seems to me to be stronger than their readiness for a conflict resolution and friendship.

 

 

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